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Klaus Möller
Nicht zufällige Gedanken zum Zufall
(erschienen im Bielefelder StadtBlatt vom 5.8.99)


Sechs Möglichkeiten

Ein Würfel hat sechs Flächen. Jede dieser Flächen wird von vier gleichlangen Kanten begrenzt. Wenn ich den Würfel fallen lasse, bleibt er irgendwann auf einer dieser Flächen liegen. Der Zufall hat sechs Möglichkeiten.

1.) Eine Definitionsfrage

Zufall ist vielleicht das Gegenteil von Auffall. Daß mir etwas auffällt könnte Zufall sein, aber das, was mir auffällt, fragt nicht warum, sondern was. Also, was ist Zufall? Eine Definitionsfrage, wenn mensch die Kausalitäten erkennt? Jedes Ereignis, das Zufall genannt wird, läßt sich auf seine Ursachen hin zurückverfolgen. Vermehrt werden Umweltkatastrophen als ein Zeichen menschlicher Ignoranz, aber nicht als Zufall betrachtet.

2.) Untrennbar mit Information verbunden

Zufall ist vielleicht das Gegenteil von Zerfall. Negative Entropie. Alles zerfällt. Das ist Gesetz, kein Zufall. Daß etwas nicht zerfällt, ist Zufall. Oder In-Formation? Information ist unwahrscheinlich, wahrscheinlich ist das Chaos, die Zerstreuung. Heißt das, daß jeder Zufall eine Information ist oder auf eine Information verweist?

3.) Eine Form von Idee 

Wie entstehen Zufälle? Falsche Frage. Wenn Zufälle entstehen würden, wären sie keine Zufälle mehr. Dann so: Brauchen Zufälle einen Raum, in dem sie sich ereignen können? Befindet sich ein solcher Raum in diesen Gedanken?

4.) Kunst entsteht nicht per Zufall

Die Gedanken über den Zufall sind selbst kein Zufall. Einen Zufall kann mensch nicht denken, sondern nur erleben. Genauso wenig entsteht Kunst per Zufall. Auch kann der Zufall aus sich heraus keine Kunst produzieren. Nur ein gezähmter Zufall, wird Teil eines Kunstwerks. Und das Zähmen des Zufalls ist vielleicht die Kunst der Kunst.

5.) Fälle die kein Zufall sind

Wer den Überfall, den Rückfall, den Abfall, den Durchfall, den Anfall, den Umfall, den Wegfall, den Unfall, den Zerfall, den dritten Fall, den Fenstersturz oder den Mauerfall als Zufall betrachtet, irrt. Oder?

6.) Moment mal !!!

Der Zufall ist lediglich die Folge unbekannter Ursachen? Dann ist also rein theoretisch alles vorhersehbar? Und Wissenschaft ist unsere Religion. Vielleicht ist ja die Entdeckung einer Kausalkette ein Zufall. Wissenschaft ohne Zufälle, wäre doch undenkbar, oder? Die Ursache von Ereignissen zu erkennen, heißt doch noch lange nicht, daß sie so und nicht anders geschehen müssen. Vilem Flusser nennt dies "nach hinten hinaus voraussichtlich". Das ist doch nur ein Trick mit dem sich der Mensch alles unterwerfen möchte. Wenn alles nur ein Glied in einer Kette von Abfolgen ist, wenn dieses Glied nur so und nicht anders in Erscheinung treten kann, dann hat jedes Sehnen und jedes Entsetzen, jedes Denken und jedes Handeln sein Ziel verloren. Der Zufall sichert uns unsere Freiheit, jene Freiheit, die in der Möglichkeit steckt. 

Ein Würfel hält sechs Möglichkeiten bereit, wenn mensch würfelt und unendlich viele Möglichkeiten, wenn mensch nicht nur würfelt.

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