klausmoeller
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Pressespiegel

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Wolf Schimmang 
Neue Westfälische
22.11.1997
Buchschaben und Texte
Gestrichen - autonomie der kunst/kritik: 
Klaus Möller im Büro für Kunst
Bielefeld. Ein Satz, der zu denken gibt: "In unmittelbarem Zusammenhang mit der materiellen Zerstörung der Beziehung entzieht sich die Herkunft der Beziehung." Formuliert hat ihn Klaus Möller am 18. Oktober dieses Jahres. Formuliert? Formatiert wäre besser. Möller bedient sich der Technik des Streichens. So ist besagter Satz das, was von Seite 288 des Buches "Autonomie der Kunst - Zur Genese und Kritik einer bürgerlichen Kategorie" zu lesen bleibt, nachdem Möller den Rest des Textes strich.

Streichend hat Möller alle 295 Seiten des 1972 bei Suhrkamp erschienen Buches verarbeitet, zwei Jahre lang. So erscheinen auf dem Cover nicht mehr die Namen des sechsköpfigen Autorenkollegtivs der Suhrkampausgabe, sondern nur noch einer: Klaus Möller. "Autonomie der Kunst. Kritik. Gestrichen" heißt seine Ausgabe ein Vierteljahrhundert später.

Bei der ersten Ausstelung vor Jahresfrist im Café Parlando (damals waren die ersten dreißig gestrichenen Seiten zu sehen) sprach Möller ("Ich bin mit dem Medium Fernsehen aufgewachsen") von seinem "schlechten Verhältnis zu Büchern", das er - zusammen mit Vorstellungen vom richtigen Umgang mit Büchern - durch seine Arbeit zerstören will: "Nicht die Bücher selbst."

Es ist also seine Art der Aneignung. Und des Schreibens. Möller beruft sich auf einen Satz des KPD-Abweichlers August Thalheimer, den er bei seinen ersten Streichversuchen in dessen Buch "Über die Kunst der Revolution und die Revolution der Kunst" nicht gestrichen hat: "Für die abgedruckten Texte gilt: nicht was in ihnen geschrieben steht, sondern was an ihnen gelesen werden kann." Sobald der Leser ins Spiel kommt, lösen sich Bücher, Texte von ihren Autoren, gewinnen ein Eigenleben, ihre eigene Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, die mit ihrem Inhalt und den Intentionen ihrer Schöpfer oft nichts mehr zu tun hat, werden zu Steinbrüchen für das Recycling neuer Texte.

Möllers Zerstörung des Textes - bei der Ausstellungseröffnung im Büro für Kunst sprach er von "Buchviren", deren Sekret ganze Sätze unlesbar macht - läßt Neues entstehen. Neue Texte, neuen Sinn, einen Blick aufs Buch als Kulturgut, als Ware, (Massen-)Produkt, als materielles Objekt. Möller "streicht" nur in Texten, die ihn betreffen. Wie die Frage nach der Autonomie der Kunst - eine objektive, eine subjektive Kategorie? Ideal künstlerischer Reinheit oder Schimäre bürgerlicher Ideologie, die reale Abhängigkeiten in der Gesellschaft verklärt, Rückwirkungen verbaut? Auf der vorletzten Seite der Möllerschen Streicharbeit (21. Oktober 1997) hinterließen die Buchschaben den Satz: "Ein ästhetisches Urteil über den Gegenstand des Wohlgefallens ist kein gedachtes, sondern eines das zu denken gibt." Am Ende die Worte: "der Mensch spielend - hier die Ermunterung subjektiver Verwirklichung - des Menschen".

Die Kunsthistorikerin Irene Below, Möllers Leherin zu Oberstufen-Kolleg-Zeiten, wies darauf hin, daß die Streicharbeit vor allem das "Dominanzgebaren der elitären Versprachlichung" angreift, die Macht des geschriebenen Wortes - indem er das einzelne Wort herausstreicht, durch Isolation seine sinnliche Qualität erfahrbar macht. Die Verfasser des gestrichenen Buches, 68er, polemisierten zwar gegen die autoritäre Form der Frontalvorlesung der damaligen Kunstprofessoren, taten es aber in der gleichen Form wie sie, tappten in deren Falle, sind heute selbst Professoren. Möller geht den anderen Weg und verwandelt einschüchternde Texte in Bilder, in ein Ensemble horizontaler Linien. Es entsteht die Einheit von Lesen und Schauen.

Lesen fordert doppelte Kompetenz: Zeichen- und Sprachkompetenz. Michael Halfbrodt las bei der Eröffnung immer wieder die Worte "Hand und Kopf, Handarbeit und Kopfarbeit", während Möller Reclambändchen und Pons-Wörterbücher als Gewichten Akkorde anschlug und seiner Yamaha-Heimorgel sphärische Klänge entlockte. Die Einheit von Kopf und Hand, ein altes Ideal der 68er - Möller verwirklicht es besser als diese.

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