klausmoeller

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TEXTE

Kaus Möller

Netz-Bedingungen

(Nov. 1999)

Über die Realität "virtueller" Kunst

"Netz-Bedingungen" ist der Titel des gerade zu ende gegangenen Kunstfestivals "Steirischer Herbst", das sich dieses Jahr mit Netzkunst beschäftigte. Im Veranstaltungsinfo heißt es: 

    "Die Netzkunst (net.art), von physischen lokalen Installationen bis zu weltweit vernetzten Computerspielen, ist das Forum geworden in dem viele der emanzipatorischen Hoffnungen der historischen Avantgarden neu artikuliert werden. Net.art ist damit [...] jene Kunstform, an welche die größten politischen Utopien geknüpft sind." 

Eine Voraussetzung, die dabei das Interesse an der Entwicklung eines globalen Netzwerks speisen, ist der Glaube, dass die sozialrevolutionären Hoffnungen der historischen Avantgarden technologisch eingelöst werden können. Mit dem Medium Internet werden den Kunstschaffenden neue Räume geöffnet. Die Dimensionen der Kommunikationsformen erweitern sich. Dies ermöglicht auch neue Teilnahmeformen an der Kunstproduktion.

Netzkünstler und -künstlerinnen machen den Versuch, die durch die Netze "rauschenden" Daten, hörbar zu machen (www.sensorium.org/netsound). Sie sammeln und zerstückeln das, was sie im Netz vorfinden, entwickeln es weiter und setzen es neu zusammen (www.jodi.org). Sie schließen sich an und lassen ihre Gliedmaßen per Internet von Unbekannten fernsteuern (www.merlin.com.au/stelarc) und spielen humorvoll mit den Möglichkeiten der "Umsetzung" von Cybersex (www.fufme.com). Sie suchen nach den Bedingungen, den Brüchen und den Grenzen des Netzes (www.xspace.at).

Im Netz sind Informationen rund um die Welt verfügbar und werden alle auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, den digitalen Code. Was nicht in Einsen und Nullen auflösbar ist, existiert nicht in der Netzwelt. Aber auch die Netzwelt existiert nicht ohne die "Realwelt". Der Übergang zwischen diesen beiden Welten ist das Interface, die Schnittstelle zwischen Virtualität und Realität. Eines dieser Interfaces ist der Computerbildschirm. Netzkunst existiert erst dann, wenn sie auf dem Bildschirm des Betrachters erscheint und/oder aus den Lautsprechern erklingt. 

Die Form des Interfaces ist eine der wesentlichen Bedingungen von Netzkunst. Der Bildschirm des Betrachters ist entscheidend für das Wie des Erscheinens. Das verwendete Browserprogramm tut sein übriges. Es interpretiert das Werk, das zunächst ja nur "notiert" in Form von Daten vorliegt. Pinsel und Farben werden gegen Tastatur und Befehle eingetauscht. Aber es entsteht dabei nicht das fertige Produkt, sondern es wird lediglich festgehalten wie dieses Produkt aussehen soll. Programmieren wird zum Komponieren. Erst mit der "Aufführung" (dem Aufrufen) der programmierten Komposition also deren Erscheinen auf dem Bildschirm entsteht das Kunstwerk. Die Komposition wird in HTML und anderen Programmiersprachen festgehalten. 

Mit dem Medium Internet künstlerisch-experimentell arbeiten kann nur, wer technische Kenntnisse und Programmierfähigkeiten besitzt. Nur so kann der Künstler verhindern, nicht einfach nur das umzusetzen, was bereits vom Programmierer vorgegeben ist. Denn nicht nur das Kunstwerk repräsentiert eine Sichtweise von Welt, dies trifft auch auf die verwendete Soft- und Hardware zu.

Größere Aufmerksamkeit erlangte Nettzkunst erstmals auf dem Linzer Ars Electronica Festival 1995. Damals wurde für den Prix Ars Electronica die Kategorie World Wide Web Sites eingeführt. Seit dem war und ist Netzkunst immer häufiger auf verschiedensten Kunstevents vertreten. So z.B. auf der documenta X 1997 (www.vuk.org/dx), dem Europäischen Medienkunst Festival in Osnabrück oder der Transmediale in Berlin. 

Die Anfänge von Netzkunst reichen jedoch mindestens bis in die 80er Jahre zurück. Beispielsweise gründeten Rena Tangens und padeluun 1989 das Bielefelder Mailboxsystem BIONIC, eine Kommunikationsplattform mit künstlerischem Anspruch (www.foebud.org/art). Ähnliche Projekte entstanden Anfang der 80er Jahre in den USA. Für Rena und padeluun sind Form und Inhalt der Kommunikation zwischen den Menschen das Wesentliche an der Vernetzung. So wird Kommunikation zu einer unsichtbaren Skulptur, die mindestens so viel bewegen kann, wie eine Skulptur aus Marmor oder Stahl. 

Weitere Plattformen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Strukturen entstanden in den folgenden Jahren. Neben der "Digitalen Stadt Amsterdam" und der "Internationalen Stadt Berlin" an deren Aufbau und Betrieb Künstler und Künstlerinnen wesentlich beteiligt waren, sind hier die Kunstplattformen äda'web, Turbulence und The Thing zu nennen.

Mittlerweile werden die ersten Netzkunstwerke ge- und verkauft, in dem die entsprechenden Domain-Adressen (z.B. www.antworten.de) ihre Besitzer wechseln. Noch sind die Beträge, die für Netzkunst ausgegeben werden niedrig und noch geschehen die Aktionen ohne das der (netz-)kunstinteressierte "Surfer" etwas davon mitbekommen muss. Doch es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis das erste Firmenlogo einem Netzkunstwerk seinen Werbestempel aufdrückt. Oder ist es längst so weit? Man steckt ja nicht drin, ...im Netz...! Im Zweifelsfall verkauft man gleich virtuelle Aktien von seinem Kunstprojekt, wie dies die Künstlergruppe Etoy macht.

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